Hohes Schmerzensgeld bei schwerst hirngeschädigt geborenen Kind

Schwerste Beeinträchtigungen der körperlichen und seelischen Gesundheit verlangen angesichts des hohen Wertes der Persönlichkeit und Würde des Menschen eine herausragende Entschädigung.


In dem entschiedenen Fall litt die Geschädigte an einem im Rahmen der Geburt verursachten frühkindlichen Hirnschaden, der durch eine behandlungsfehlerhaft hervorgerufene Sauerstoffunterversorgung verursacht wurde. Die Hirnschädigung führte zu einer schweren Beeinträchtigung der geistigen und sprachlichen Entwicklung, wodurch der intelektuelle Standard der Geschädigten dem eines elfjährigen Kindes entsprach. Seitdem leidet die Geschädigte an einer spastischen Triparese und einer Verkrümmung der Wirbelsäule, wodurch das Laufen und Stehen unmöglich ist und ein selbstständiges Sitzen im Rollstuhl nur in eine speziell angefertigten Korsage und Sitzschale möglich ist. Selbst das Halten von Gegenständen ist nur kurze Zeit möglich. Die Geschädigte kann nur einzelne Worte sprechen, im übrigen ist eine Kommunikation mit ihr nicht möglich. Die Geschädigte wird ihr Leben lang hochgradig pflegebedürftig sein, mithin muss sie gewaschen, gewindelt, gekleidet und gefüttert werden. Die Geschädigte ist keiner Lebenssituation selbstständig gewachsen.

Das Schmerzensgeld hat die Funktion, einen angemessenen materiellen Ausgleich für diejenigen Schäden zu bieten, bei denen es sich nicht um Schäden vermögensrechtlicher Natur handelt. Zugleich soll dem Gedanken Rechnung gertragen werden, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung für das Leid leistet, welches er ihm angetan hat. Auch sollen die erlittenen immateriellen Nachteile (Einbuße an seelischem und körperlichem Wohlbefinden) durch materielle Vorteile ausgeglichen werden, die das Wohlbefinden steigern.
Die Bemessung des Schmerzensgeldes erfolgt nach freiem Ermessen. Dabei hat das Gericht alle schadensrelevanten Umstände des konkreten Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtschau zu würdigen und in ein angemessenes Verhältnis zu der Art und der Intensität der erlittenen Verletzungen zu setzen.

Für die Bemessung des Schmerzensgeldes ist es nicht erforderlich, dass der Gerschädigte sich seines Zustands bewusst ist, wenn dem Geschädigten von vornherein die Basis für die Entfaltung seiner Persönlichkeit genommen wurde. Ein mangelndes Bewusstsein hinsichtlich des eigenen Zustandes darf auch nicht zum Anlass für eine Minderung des Schmerzensgeldes genommen werden, denn grade die mangelnde Fähigkeit zur Entfaltung der Persönlichkeit und damit einer Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit stellt die besondere Schwere der Schädigung dar und stellt schon für sich genommen einen ausgleichspflichtigen immateriellen Schaden dar. Es ist widersprüchlich das mangelnde Bewusstsein über den eigenen Zustand, der infolge der Schädigung eingetreten ist und das Ausmaß und die Intensität der Schädigung kennzeichnet, als Grund für eine Kürzung des Schmerzensgeldes anzusehen.

Das Gericht sprach der Geschädigten ein Schmerzensgeld von 400.000 Euro zu und blieb damit unter der Grenze von 500.000 Euro. Hierbei führte es aus, dass ein Schmerzensgeld von 500.000 Euro nur in den Grenzfällen zugesprochen wird, in denen sich das Leben des Betroffenen auf die Aufrechterhaltung vitaler Funktionen, sowie die Bekämpfung von Krankheiten und die Vermeidung von Schmerzen beschränkt und ein schlechterer Zustand schlechterdings nicht mehr Vorstellbar ist und das Ausmaß der Schäden nicht mehr zu vergrößern ist.
 
Oberlandesgericht Naumburg, Urteil OLG Naumburg 1 W 57 10 vom 10.12.2010
Normen: BGB §§ 280, 286 a.F., 823, 847; GG Art 1, 2
[bns]